Romanze.

[246] Abend war's, ein Jüngling ging spazieren

An des Baches lieblich kühlem Strand.

Sieh'! dort drüben, recht wie ihm zum Trotze,

Winkt' ein Mädchen ihm mit ihrer Fi – Fa – Flötenstimme

Und sein Herz entbrannt' im wilden Grimme,

Weil er nirgends eine Brücke fand.


Bat vergebens sie, den Weg zu zeigen

Ihm zu ihrer dichtverwachs'nen Burg,

Die ihm winkt in der Gebüsche Kranze;

Doch kaum droht er ihr mit seinem Schwi – Schwa – Schwerte,[246]

Als sie gleich auf seine Worte hörte,

Und sie führte freundlich ihn hindurch.


Traulich kosend küßt' er voll Verlangen

Ihren kleinen zarten Rosenmund,

Freute sich des Minnelohns nicht wenig,

Ach ach! sie hat den rothen Ki – Ka – Korb verloren,

Ist der Himmel gegen sie verschworen?

In dem Korbe war ihr Schlüsselbund.


»Liebes Mädchen,« sprach er, »laß uns eilen,

Leg' dich nieder auf den Blumenflor,

Sieh' dort lauscht schon Amor mit dem Köcher.«

Und sein Pfeil fliegt in der Schönen Li – La – liebeglühn'de Herzen.

Aber ach! auch nicht ohn' herbe Schmerzen

Zieht er aus der Wunde ihn hervor.


Ach, so wahr, so wahr hast du gesprochen –

Hob des Mädchens traurig Flüstern an –[247]

Mancher kam zu mir durch Schilf und Strüppen,

Aber Manchen faßte auch der Dri – Dra – Dreizack der Tritonen,

Die dort unten in der Tiefe wohnen,

Und ihn reute schwer, was er gethan.


Ach! gesund ist Mancher hergezogen,

Schwer getroffen mied er diesen Strand,

Doch, o Jüngling, du sollst mich beglücken,

O so komm, ich lass' mich von dir fi – fa führen.

Amors Schlüssel läßt sich nicht verlieren, –

Und sie führt' ihn in's gelobte Land.


Anonym.

Quelle:
Nuditäten oder Fantasien auf der Venus-Geige. Padua [o. J.], S. 246-248.
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