Von Rosen und weisen Männern

[338] (An Hugo Salus.)


Leute giebt's, mit langen grauen Bärten,

Dicke Brillen auf den breiten Nasen;

Feierlich, mit ungemeiner Würde,

Klagen sie, die Erde sei vom Uebel.


Glaube nicht sothanen Klagemännern!

Allerdings, nicht immer blühen Rosen,

Und zuweilen stechen dich die Dornen.
[338]

Aber, und dies Aber sei gepriesen,

Wo ein Dorn dich sticht, da darfst du hoffen:

Bald schwebt eine Rose hier im Winde.


Eine Rose, hundert, tausend Rosen,

Und die harten Dornen sind vergessen:

Kleine Mädchen tanzen um die Büsche,

Ihre Seelen wissen nichts von Dornen.


Dumm sind diese lieben kleinen Mädchen,

Und du Griesebart bist viel gescheidter;

Tief muß meinen Hut ich vor dir ziehen,

Denn du bist in Dornen sehr beschlagen.


Aber wenn im Wind die Rosen schweben

Und im Tanz die lieben kleinen Mädchen,

Dann, mein sehr gescheidter Mann im Barte,

Drücke dich, geh, mach dich in die Büsche.


Denn, verzeihe: Wenn die Rosen blühen

Und die lieben kleinen Mädchen tanzen,

Ist die Dornenweisheit überflüssig.

Wenigstens für uns. Du selber kannst ja

Eine Dissertation im Busche

Oder meinetwegen zweie schreiben.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 338-339.
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Der Neubestellte Irrgarten Der Liebe: Um Etliche Gaenge Und Lauben Vermehrt, Verliebte Launenhafte, Moralische Und Andere Lieder, Gedichte U. Sprueche . Bis 1905. 1 Bis 6 Tausend. (German Edition)