An Herrn Stephan Mai als ich ihn durch Übergabe des Cahier-Schlüssel zu meinem Stellvertreter hienieden ernannte

[81] Ich, der ich hier so manchen Dienstag, mitten

In einem Aktenhauf zum Kreuz verdammt,

Für das gesamte Zollbüro gelitten,

Ich übertrage dir mein Mittleramt.


Nimm hin den Schlüssel, hochbegabtes Wesen,

Nimm ihn von meiner unnennbaren Huld,

Mit ihm die Kraft zu binden und zu lösen,

Womöglich auch zu beidem die Geduld!


Und was du binden wirst, das sei verstoßen,

Fern von dem Strahl des Himmelslichts,

In jenen schwarzen Schlund verschlossen,

Bis zu dem Tage des Gerichts.


Doch was du freigibst, wandre fröhlich

Durchs Fegefeur der Korrektur

Und ruh als leichtes Kurrens selig

Im Himmel der Registratur.

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 81.
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