[346] Ich mache jetzt mein Testament,
Es geht nun bald mit mir zu End'.
Nur wundre ich mich, daß nicht schon längstens
Mein Herz gebrochen vor Gram und Ängsten.
[346]
Du aller Frauen Huld und Zier,
Luise! ich vermache dir
Zwölf alte Hemde und hundert Flöhe
Und dreimalhunderttausend Flüche.
Dem guten Freund, der mit gutem Rat
Mir immer riet und nie was tat,
Jetzt, als Vermächtnis, rat ich ihm selber:
Nimm eine Kuh und zeuge Kälber.
Wem geb ich meine Religion,
Den Glauben an Vater, Geist und Sohn?
Der Kaiser von China, der Rabbi von Posen,
Sie sollen beide darum losen.
Den deutschen Freiheits- und Gleichheitstraum,
Die Seifenblasen vom besten Schaum,
Vermach ich dem Zensor der Stadt Krähwinkel;
Nahrhafter freilich ist Pumpernickel.
Die Taten, die ich noch nicht getan,
Den ganzen Vaterlandsrettungsplan,
Nebst einem Rezept gegen Katzenjammer,
Vermach ich den Helden der badischen Kammer.
Und eine Schlafmütz', weiß wie Kreid',
Vermach ich dem Vetter, der zur Zeit
Für die Heidschnuckenrechte so kühn geredet;
Jetzt schweigt er wie ein echter Römer.
Und ich vermache dem Sittenwart
Und Glaubensvogt zu Stuttegard
Ein Paar Pistolen (doch nicht geladen),
Kann seiner Frau damit Furcht einjagen.
Ein treues Abbild von meinem Steiß,
Vermach ich der schwäbischen Schule; ich weiß,[347]
Ihr wolltet mein Gesicht nicht haben,
Nun könnt ihr am Gegenteil euch laben.
Zwölf Krüge Seidlitzer Wasser vermach
Ich dem edlen Dichtergemüt, das, ach!
Seit Jahren leidet an Sangesverstopfung;
Ihn tröstete Liebe, Glaube und Hoffnung.
Und dieses ist ein Kodizill:
Für den Fall, daß keiner annehmen will
Die erwähnten Legate, so sollen sie alle
Der römisch-katholischen Kirche verfallen.
[348]
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Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
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