An die Hoffnung

[449] Hoffnung! laß allein mich wallen,

Gaukle nicht um meine Bahn!

Deine Sterne sind gefallen,

Und mich täuscht kein holder Wahn!


Dieser streckt nach einer Krone

Seine Hand verwegen aus;

Doch ihn stoßt der Tod mit Hohne

In sein enges, kühles Haus.


Und ein andrer hat errungen,

Was der erste nur gewollt;

Hat die höchste Höh erschwungen:

Throne wanken, wenn er grollt.


Hoffnung! o warum entzündest

Du sein Herz zum stolzen Plan,

Da du schmeichelnd ihm verkündest

Einen Weltteil untertan?!


Über Völkern klirrt die Kette,

Da sein Schritt nach Osten stürmt;

Bang ruft eins dem andern: rette!

Von der Schreckensmacht umtürmt.


Nun ergreift ihn sein Verhängnis,

Reißt ihm Krön und Purpur ab,

Schleudert ihn ins Meergefängnis;

Bald verschlingt ihn dort sein Grab. –


In der Nächte stiller Feier

Hebt der heiligen Natur

Kühn ein Forscher ihre Schleier

Und verfolget Gottes Spur.


Denn du lassest schön erglänzen

Ihm ein Mal der Ewigkeit,[450]

Enkel seine Gruft bekränzen; –

Und ihn lohnt – Vergessenheit!


Nach der Liebe treuem Glücke,

Das er nirgends finden soll,

Kehrt ein andrer seine Blicke,

Dir vertrauend, sehnsuchtsvoll.


Ach, sie liebt ihn, der Entglühte

Hält sie wonnevoll umstrickt;

Doch der Liebe zarte Blüte

Wird im Rausche bald zerknickt! –


All dein Wort ist Windesfächeln;

Hoffnung! dann nur trau ich dir,

Weisest du mit Trosteslächeln

Mir des Todes Nachtrevier!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 449-451.
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