Bürgers Alpdruck

[128] Was sinnst du, Bürger, bleich und welk?

Hält dich ein Spuk zum Narren?

Nachtschlafend hörst du im Gebälk[128]

den Totenkäfer scharren.

Er wühlt und bohrt, gräbt und rumort,

und seine Beine tasten

um Säcke und um Kasten.


Horch, Bürger, horch! Der Käfer läuft.

Er kratzt ans Hauptbuch eilig.

Nichts, was du schwitzend aufgehäuft,

ist seinen Fühlern heilig.

Der Käfer rennt. Der Bürger flennt.

In bangen Angstgedanken

fühlt er die Erde wanken.


Ja, Bürger, ja – die Erde bebt.

Es wackelt deine Habe.

Was du geliebt, was du erstrebt,

das rasselt jetzt zu Grabe.

Aus Dur wird Moll, aus Haben Soll.

Erst fallen die Devisen,

dann fällst du selbst zu diesen.


Verzweifelt schießt die Bürgerwehr

das Volk zu Brei und Klumpen.

Ein Toter produziert nichts mehr,

und nichts langt nicht zum Pumpen.

Wo kein Kredit, da kein Profit.

Wo kein Profit, da enden

Weltlust und Dividenden.


Hörst, Bürger, du den Totenwurm?

Er fährt durch Holz und Steine,

und sein Geraschel weckt zum Sturm

des Leichenvolks Gebeine.

Ein Totentanz macht Schlußbilanz

und schickt dich in die Binsen

samt Kapital und Zinsen.


Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 128-129.
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