Abendgemälde

[197] Durch Birkenlabyrinthe

Malt abendliche Glut

Mit warmer Zaubertinte

Des Rohrbachs leise Flut;

Bepurpurt fliehn die Wellen

Hinab zum Gartenteich,

Umhegt von Steinkornellen

Und glattem Nußgesträuch.


Gebirg und Hain verschmelzen

Im rötlichen Gedüft;

Der Mühle Flügel wälzen

Sich an umzäunter Trift;

Aus dunkler Fichtengruppe

Wallt am beschilften Moor

In dichtgedrängtem Truppe

Das leichte Wild hervor.


Die alte Ritterveste

Hebt kühn im goldnen Glanz

Des Thurms bemooste Reste

Aus finstrer Ulmen Kranz;

Matt glüht, im bleichern Strale,

Von Eppich halb verhüllt,

Am gothischen Portale

Der graue Wappenschild.


Wann Feyn und Geister walten,

Erstehn, wie Nebelduft[197]

Im Mondlicht, die Gestalten

Der Helden aus der Gruft.

Die Dunstgebilde wallen,

In düstrer Majestät,

Im öden Raum der Hallen,

Vom hohen Gras umweht.


Fern ob dem blauen Strome,

Am Felsen wild und schrof,

Winkt, unterm Schattendome

Der Eich', ein Fischerhof.

Die Quell' entschäumt der Klippe,

Mit Funken blaß bestreut,

Vom alten Baumgerippe

Romantisch überdräut.


Umgrenzt von Hain und Matten,

Wie Yoriks Meierei,

Blikt aus Platanenschatten

Ein ländlich Sorgenfrei.

Hier grünen Thyrsusstäbe

Bey Wies' und Gartenland;

Dort ringelt ihr Gewebe

Die Bohn' an weisser Wand.


Am Fenster glüht die Nelke,

Um Rosen schwärmt der West;

In Ruh baut am Gebälke

Die treue Schwalb' ihr Nest;

Dumpf schwirrt am Brunnentroge

Der kleine Bienenstaat;

Des Aehrenfelds Gewoge

Rauscht leis' am Hügelpfad.


O selig, wer sein Leben

Der Selbstgenügsamkeit,

Umgrünt von eignen Reben,

Am Vaterheerde weiht![198]

Auch mir, auch mir, vom Schwarme

Der Narrenbühne fern,

Blinkt einst am Freundesarme

Der Dämmrung schöner Stern.


Dann mag in Spiegelsälen

Der Maskenball sich drehn,

Auf trüben Lustkanälen

Die Gondelflagge wehn,

An starren Taxuswänden

Des Indus Flora blühn,

Und matt aus Marmorblenden

Der Quelle Silber sprühn.


Mich lokt zum Wiesenplane

Der Mädchen Abendreihn;

Mich reizt im leichten Kahne

Des Vollmonds milder Schein;

Mich labt der Weste Fächeln

Am Hainquell; mich entzückt

Ein Veilchen, das mit Lächeln

Adelaide pflückt.

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 197-199.
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