Der Mars von Florenz

[159] Die Türme von Florenz umblaut

Der süße Lenz, der junge Lenz,

Die Frauen singen leis und laut

In allen Gassen von Florenz.
[159]

Am Rand der Arnobrücke steht

Ein schwarzverwittert Marmelbild

Mit Helmgeflatter, Kriegsgerät,

Gott Mars, und lächelt falsch und wild.


– »Gott Mars, wohl magst du finster schaun,

Drommete dröhnt im Lenze nie,

Raub eine dir von unsern Fraun!

Hoch über Venus preis ich sie!«


Ein Jüngling ruft's dem Gott empor

Mit lachend ausgestreckter Hand –

Ihm dringt ein Erzgedröhn ans Ohr,

Er eilt und steht am andern Strand.


Rasch tritt aus einem Haus hervor

Ein Edelweib, das höhnt und lacht:

»Zur Amidei? Junger Tor!

Dir war das Schönre zugedacht!


Nach Gottes Ratschluß ist's geschehn!

Heut wirst du – heißt's – mit ihr getraut –

Jetzt sollst du die Donati sehn:

Blick her! Vergleich mit deiner Braut!«


Sie zerrt ein Mägdlein an das Licht,

Es kämpft ins dunkle Haus zurück,

Im jungen bangen Angesicht

Errät er aller Himmel Glück.


»Hinweg! Die Amidei harrt!

Hinweg. Mein Kind ist keine Dirn!

Ihr blicket frech!« Der Jüngling starrt

Auf die gesenkte Mädchenstirn.


Der Wunsch ist Glut! Die Scham ist Glut!

Die hohe Doppelflamme loht!

Er streckt die Hand. Das höchste Gut

Ergreift er und ergreift den Tod.
[160]

»Frau, strafet mich nicht allzuschwer!

Das süße Haupt! Das blonde Haar!

Gewähret sie mir!« stammelt er.

»Ich führe stracks sie zum Altar!«


Den Ring, der ihm die Hand bereift,

Der Amidei Trauungsring,

Hat rasend er sich abgestreift

Und schleudert ihn. Da rollt er. Kling...


Jetzt kniet er im Kapellenraum,

An Freveln und an Wonnen reich,

Zur Linken kniet sein sünd'ger Traum,

Wie Engel schön, wie Tote bleich.


Dem Paar zu Häupten murmelt leer

Und schnell ein feiles Priesterwort –

»Die Rosse her! Die Rosse her!

Zum Tor hinaus! Ins Freie fort!


Du lieb Geschöpf! Du bebst wie Laub!

Verlarve dir das Angesicht!

Faß Mut! Ich bringe meinen Raub

In eine Burg, die keiner bricht!«


Am Rand der Arnobrücke steht

Ein schwarzverwittert Marmelbild

Mit Helmgeflatter, Kriegsgerät,

Gott Mars, und lächelt falsch und wild.


Das Schwert des Gottes schüttert leis.

Da springt hervor mit Erzeslaut

Ein Hinterhalt, ein Mörderkreis,

Die Sippe der verratnen Braut.


»Verdammter, stirb!« – »Geliebte, flieh!«

Wild ringend stürzt er umgebracht,

An seinen Busen gleitet sie

Und sinkt mit ihm in eine Nacht.
[161]

Herab von aller Türme Hang

Verkündet gellend Sturmgeläut

Den Bürgerkampf. Das Schwert erklang

Dem Gott, der sich des Mordes freut.


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 159-162.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1892)
Gedichte.
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Ausgewählte Novellen / Gedichte (Fischer Klassik)
Gedichte: Apparat zu den Abteilungen III und IV
Gedichte: Apparat zu den Abteilungen VIII und IX. Nachträge, Verzeichnisse, Register zu den Bänden 1 bis 7

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon