[16.]

Auf Leid kommt Freud

Sei wolgemuth, laß Trauren sein,

Auf Regen folget Sonnenschein;

Es gibet endlich doch das Glück

Nach Toben einen guten Blick.


Vor hat der rauhe Winter sich

An uns erzeiget grimmiglich,

Der ganzen Welt Revier gar tief

In einem harten Traume schlief.


Weil aber jetzt der Sonnen Licht

Mit vollem Glanz heraußer bricht

Und an dem Himmel höher steigt,

Auch alles fröhlich sich erzeigt,


Das frostig Eis muß ganz vergehn,

Der Schnee kann gar nicht mehr bestehn,

Favonius, der zarte Wind

Sich wieder auf die Felder findt,


Die Saate gehet auf mit Macht,

Das Grase grünt in vollem Pracht,

Die Bäume schlagen wieder aus,

Die Blumen machen sich heraus.


Das Vieh in Felden inniglich,

Das Wild in Püschen freuet sich,

Der Vögel Schar sich fröhlich schwingt

Und lieblich in den Lüften singt:
[18]

So stelle du auch Trauren ein,

Mein Herz, und laß dein Zagen sein,

Vertraue Gott und glaube fest,

Daß er die Seinen nicht verläßt.


Ulysses auch, der freie Held,

Nachdem er zehn Jahr in dem Feld

Vor Troja seine Macht versucht,

Zog noch zehn Jahr um in der Flucht.


Durch Widerwertigkeit im Meer

Ward er geworfen hin und her,

Noch blieb er standhaft allezeit

In Noth und Tod, in Lieb und Leid.


Die Circe mit der Zauberkunst

Bracht' ihn niemals zu ihrer Gunst;

Auch der Sirenen süßer Mund

Und Harfen ihn nicht halten kunt.


Er warf doch endlich von sich noch

Des rauhen Lebens schweres Joch,

Penelopen er wieder fand

Und Ithacen, sein Vaterland.


So bis du auch getrost, mein Herz,

Und übersteh des Glückes Scherz,

Trau Gott, sei nur auf ihn bedacht;

Die Hoffnung nicht zu Schanden macht.

Quelle:
Martin Opitz: Ausgewählte Dichtungen, Leipzig 1869, S. 18-19.
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Ausgewählte Ausgaben von
Weltliche Dichtungen
Weltliche und geistliche Dichtung, hrsg

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