Uber das Evangelium am Heiligen Pfingst-Tage

[258] 1.

Mein Seelichen, waß traurst Du doch,

Wie magst Du Dich so kränken?

Deß Herren Gühte währet noch:

Dein Gott wil Dich beschenken

Mit seinem Geist', alß welcher heüt'

Ist reichlich außgegossen

Dort über Christus Wunder leüt'

Also, daß Sie genossen,

Waß längst schon war beschlossen.


2.

Da Christus hatte seinen Lauff

Gantz vollenbracht auff Erden

Und herlich war genommen auf,

Da must erfüllet werden,

Waß Er versprochen, daß der Geist

In Flammen ward gegeben:

Diß ist der Geist, der Tröster heist;

Der heiligt Unser Leben,

Gibt Lehr' und Krafft daneben.


3.

Mein Seelichen, waß winselst Du?

Laß ab von Deinen Klagen:

Der wehrte Pfingstgast tritt herzu,

Dein Trauren zu verjagen.

Beschwehret Dich der Sünden Last?

Auf Christum must Du sehen,

Der hat die Sünd' auf Sich gefast:

Der must' auß Salem gehen

Und lassen Sich erhöhen.


4.

Ist Dir zu stark deß Kreützes Hitz?

Ei laß Dich unterrichten.

Eß spricht der Geist, Sie Sei Dir Nütz,

Dieweil Sie kan vernichten

Deß Fleischeß Lust; doch wird die Pein

Kaum wehren biß auf Morgen,

Den sol der Trost vorhanden sein.

Die Hülff ist unverborgen:

Waß wiltu den viel sorgen?


5.

Läst der Tyrannen gifftigs Heer

Dir nach dem Leben stellen?

Verzage nicht; Diß stoltze Meer

Muß legen seine Wellen.

Der Geist spricht, daß es Gnade sei,

Wen von der Wahrheit wegen

Ein Christ' erduldet mancherlei;

Den Gott wird Ihn belegen

Hernach mit reichem Segen.


6.

Erschrikst Du für der letsten Noht?

Der Geist kan Dich erquikken;

Er zeüget kräfftig, daß der Tod

Dich könne nicht erstikken.

Wie selig, spricht Er, ist Er doch,

Der Christlich hat bezwungen

Der Sünden Sold, deß Todes Joch:

Dem ist sein Kampff gelungen,

Und Er ist durch gedrungen.


7.

Sol aber solches recht geschen,

So muß in disem Leben

Der grosse Pfingstgast bei Mir stehn

Und seine Krafft Mir geben,

Daß Ich ein heiligs Leben führ'

Und Gott von Hertzen liebe,

Vol Glaubens Mich mit Werken Zier',

In Tugenden Mich übe,

Den Negsten nicht betrübe.


8.

Nun, edler Geist, Ich zweifle nicht,

Du wirst Mein Hertz erleüchten:

Du Wolkenhelles Seelenlicht

Kanst säuberlich befeüchten

Mein dürres Zünglein, daß es frei

Weiß Jesum recht zu nennen

Den Herren, dessen Güht' und Treü

Kein Ding von Unß kan trennen.

Ach laß Mich daß erkennen!


9.

Erinre Mich Mein Lebenlang,

Waß Gott für Mich gelitten,

Alß er durch seinen Todes Gang

So manchen Feind bestritten:

So werd' Ich stets der Sündengifft

Mit höchstem Fleisse meiden,

Von dem' auch, was nicht recht intrifft

Mit Gottes Wohrt, Mich scheiden

Und alles drüber leiden.
[259]

10.

O Geist, gib Zeügniß unserm Geist,

Daß Wir sind Gottes Erben.

Du wehrter Hort, hilff allermeist,

Daß Wir nur selig sterben.

Laß eine guhte Ritterschafft

Auch Mich auf Erden üben;

Verleih' auch Meiner Seelen Krafft,

Daß Sie, durch Dich getrieben,

Nur Christum müge lieben.


11.

O Himmelsflamm', erwärme Mir

Mein Hertz für allen Dingen,

Damit es könne für und für

Dasselbe vollenbringen,

Waß Dir, Mein Pfingstherr, wolgefällt;

Drauf stärke Mich im leiden,

Und wen Ich muß auß dieser Welt

Zu Meinem Schöpfer scheiden,

So nim Mich auf mit Freüden.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 258-260.
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