Die bin mit der spin

[114] Im spiegelton des Erenboten.


1.

Ein alte spin, die tet ein netzlein weben,

darin sie mucken fangen wolt,

sie bringen um das leben,

darin sie sich in stiller ru,

on arbeit, möcht erneren.

In dem ein bin wolt an ir arbeit fliegen,

samlen der süßen blümlein saft,

als sie sah das betriegen,

der spinnen schalkhaftiges netz,

entgegen ret in eren.

Gar scharf die spin sie darum straft;

die spin mit laster war behaft,

sprach zu ir: »die nature

hat mich gelert subtile netzlein spinnen,

darin ich disen sumer lang

mein narung müg gewinnen[114]

on alle arbeit, mü und angst,

das mir nit sauer wure.


2.

In meinem gweb kan ich mich lüstig schmucken,

dan so balt fallen in mein netz

die schnaken oder mucken,

on alle mü ich sie umstrick,

tu in ir blut aussaugen.

Dein narung must mit arbeit überkumen,

du fleugst über den ganzen tag

auf rosen, kle und blumen,

dan würkestu in dem binstock;

der unru kanst nit laugen.«

Die bin sprach: »dein ru sei verflucht,

die so mit gschwinden listen sucht

den nechsten zu verstricken,

und saugest aus dem unschulding sein blute,

ich aber mich mit arbeit ner,

kum dem nechsten zu gute.

ich bereit hönig und das wachs;

erbeit tut mich erquicken.«


3.

Alhie wirt uns bedeutet durch die spinnen

all die mit schaden andrer leut

on arbeit gut gewinnen,

als finanzer und wucherer,

fürkaufer, falsch juristen

All fatzmacher, münzfelscher und all trügener,

simoneier, rauber und dieb,

falsch spiler und die lügener,

die stellen gar viel strick und netz

dem volk mit gschwinden listen.

Bei der binen bedeuten sent

all, die sich neren mit der hent,

dem nechsten auch zu nutze

und im schweiß ires angesichts sich neren,[115]

wie got in dem anfang gebot;

das ist mit got und eren.

wer nicht arbeit sol eßen nicht,

spricht Paulus wol mit trutze.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 114-116.
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