Die glücklich gehobene Besorgniß.

[72] Es war einmal, doch wo, das weiß ich nicht gewiß,

Die Süntfluth hat ohndem den Ort längst weggespühlet,

Ein Mädchen, das mit Recht das Wundermädchen hieß,

Weil noch ihr zwanzigjährger Mund

Die Süßigkeit des Honigs nicht gefühlet,

Den Adam einst in Ewens Körbchen trug.[72]

Sie war so reich, schön und hatte Freyer gnug;

Allein, da sie beym Antrag jeden frug,

Wie groß der Finger sey?

So wollte, weil die Herrn aus Freyersprahlerey

Des Dinges Maaß und Ziel vergaßen,

Kein einziger in ihren Fingerhut,

Den sie durchaus nicht wollte weiten lassen,

So recht bequem nach ihrem Sinne paßen.

Doch Amor der nicht eher ruht

Bis Mädchen ihm ihr Theil geopfert haben,

Bracht' den Amint auf eine List. Er meldte sich

Und sprach: »O Schöne wähle mich[73]

Ich habe dreyfach das, was andre einfach haben,

Und glaub gewiß die kleinste dieser Gaben

Wird deinem Fingerhut recht angemessen seyn.«

Zugleich reicht er den Riß der dreyen Finger ein.

Sie nimmt den Riß in hohen Augenschein,

Und wählt, weil ihr vielleicht das dreyfach wohl behagt,

Aminten, der zuvor ihr eidlich zugesaget

Nur ganz allein den kleinsten zu gebrauchen.

Er nahm ihn auch, ließ sanft ihn untertauchen,

Man fand ihn gut – der Fingerhut ward feucht,

Und Phyllis zischelte: »den größeren, vielleicht

Paßt der wohl auch.« Er nimmt den Mittelfinger

Und kützelt frisch den Liebeszwinger;

Da wurde aus Erkenntlichkeit

Der rosenfarbne Rand des Ringchens ziemlich weit.

Ach Bester, seufzt sie jetzt, dir kann ich nichts versagen,[74]

Wenns dir gefällt, so magst du auch den größten wagen.

Kaum sprach sie es; so stach er schon im Ziel

Vermehrte da der Lüsternheit Gefühl

Drang weit empfindlicher zum Herzen,

Und Wollust half die kleine Pein verschmerzen,[75]

Indem sie Balsam, der wie Milch und Honig floß

In Phyllis Rosenwunde goß.

Das weichliche sittsame Kind zerfloß,

Und starb vor Lust, doch bald, erweckt von neuen Flammen,

Schien jetzt der Fingerhut ein niedlicher Pokal,

Und leise sprach sie: Ach Amint ach! noch einmal,

Und wenn du kannst, so bind' sie alle drey zusammen!
[76]

Quelle:
[Johann Georg Scheffner]: Gedichte im Geschmack des Grecourt, Frankfurt; Leipzig 1771, S. 72-77.
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