Ein Blick auf die Welt

[304] Welt, die nur irdische Gemüther

Mit ihren Banden fesseln kann,

Der Christ schaut alle deine Güter

Auf einer andern Seite an,

Dein Gut ist Staub! dein Stolz zerfällt!

Tand ist dein Glück! o arme Welt!


Mein Glaube steht auf einem Berge

Und schaut ins weite Thal hinab;

Die Riesenkinder werden Zwerge

Und jeder Hügel wird ein Grab.

Gott, welch ein Zug! erst Gram und Noth,

Furcht, Hoffnung, und zuletzt der Tod.


O welche Aussicht in die Weite!

Die Unschuld blickt durch einen Flor;

Die Tugend geht im Trauerkleide

Und Klagen wimmern laut empor.

Die Seuchen liegen auf der Luft,

Und überall ist eine Gruft.


Welch ein Getümmel von Betrübten!

Und Gott, wie jammern sie so laut;

Dort klagt ein Weib um den Geliebten,

Und hier ein Jüngling um die Braut.

Von jedem Hügel jammert Noth

Und hier ist Tod und da ist Tod.[304]


Ich kann nicht mehr; mit schwachen Füßen

Eil' ich von meinem Berg hinab.

Es klopft mein Herz und Thränen fließen;

Wohin sie fließen, ist ein Grab.

Ich stehe, wandle, sinke hin,

Und Grab ist alles, wo ich bin.


Tod und Verwesung und Verderben

Beschließen unsern Lebenslauf.

Denn: alle Menschen müssen sterben

Tönt ja von jedem Sarg herauf.

Auch mir schließt einst des Todes Ruh'

Die wundgeweinten Augen zu.


Nun, ich entfliehe mit den Frommen

Dir, Welt, und aller deiner Pracht.

Ihr aber seid mir jetzt willkommen,

Tod, Sarg und Grab und Mitternacht!

Es flammt das Wort in meiner Brust:

Gedenke, daß du sterben mußt.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 304-305.
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