Aderlässe

[208] Des Lebens Purpurstrahl

Fährt schäumend aus der kleinen Ritze;

O Schöpfer! wann verfliegt einmal

Dies Blut, das ich in fauler Rast verspritze?


Soll alle meine Kraft

Im Feuer banger Qualen schmelzen?

Gebricht's nicht bald an neuem Saft,

Die Kügelchen des Blutes fortzuwälzen?[208]


Du bist so heiß, o Blut!

Was sprudelst du in dieser irdnen Schale?

Hast du noch Gluth, noch Sonnengluth?

Zückt Freiheit noch in deinem rothen Strahle?


O Arzt! so binde du

Nur schnell, nur schnell mit deiner Binde

Die offne Ader wieder zu:

Denn Freiheit ist des Deutschen größte Sünde!


Doch willst du nimmer heiß,

O Blut, aus deinen Röhren schießen;

Willst frostig, wie zerschmolznes Eis

Vom nackten Fels, in kalten Tropfen fließen:


So fließe, fließe nur –

Kein Fürst wird deine Kälte strafen;

Denn kalte, frostige Natur

Schickt sich allein für arme deutsche Sklaven.


Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 208-209.
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