Mondscheinlied

[131] Träuft vom Himmel der kühle Thau,

Thun die Blumen die Kelche zu,

Spätroth sieht scheidend nach der Au,

Flüstern die Pappeln, sinkt nieder die nächt'ge Ruh.


Kommen und gehn die Schatten,

Wolken bleiben noch spät auf

Und ziehn mit schwerem, unbeholfnem Lauf

Ueber die erfrischten Matten.


Kommen die Sterne und schwinden wieder,

Blicken winkend und flüchtig nieder,

Wohnt im Wald die Dunkelheit,

Dehnt sich Finster weit und breit.
[132]

Hinter'm Wasser wie flimmende Flammen,

Berggipfel oben mit Gold beschienen,

Neigen rauschend und ernst die grünen

Gebüsche die blinkenden Häupter zusammen.


Welle, rollst du herauf den Schein,

Des Mondes rund freundlich Angesicht?

Er merkt's und freudig bewegt sich der Hain,

Streckt die Zweig' entgegen dem Zauberlicht.


Fangen die Geister auf den Fluthen zu springen,

Thun sich die Nachtblumen auf mit Klingen,

Wacht die Nachtigall im dicksten Baum,

Verkündet dichterisch ihren Traum,

Wie helle, blendende Strahlen die Töne niederfließen

Am Bergeshang den Wiederhall zu grüssen.
[133]

Flimmern die Wellen,

Funkeln die wandernden Quellen,

Streifen durch's Gesträuch

Die Feuerwürmchen bleich. –


Wie die Wolken wandelt mein Sehnen,

Mein Gedanke, bald dunkel, bald hell,

Hüpfen Wünsche um mich wie der Quell,

Kenne nicht die brennenden Thränen.


Bist du nah, bist du weit,

Glück das nur für mich erblühte?

Ach! daß es die Hände biete

In des Mondes Einsamkeit.


Kömmt's aus dem Walde? schleicht's vom Thal?

Steigt es den Berg vielleicht hernieder?

Kommen alte Schmerzen wieder?

Aus Wolken ab die entfloh'ne Quaal?
[134]

Und Zukunft wird Vergangenheit!

Bleibt der Strom nie ruhig stehn:

Ach! ist dein Glück auch noch so weit

Magst du entgegen gehn;

Auch Liebesglück wird einst Vergangenheit.


Wolken schwinden,

Den Morgen finden

Die Blumen wieder;

Doch ist die Jugend einst entschwunden,

Ach! der Frühlingsliebe Stunden,

Steigen keiner Sehnsucht nieder.

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 2, Heidelberg 1967, S. 131-135.
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