Der Patriot

[173] Von allen Helden, die der Welt

Als ewige Gestirne glänzen,

Durch alle Gegenden bis an der Erde Gränzen,

O Patriot, bist du mein Held:


Der du, von Menschen oft verkannt,

Dich ganz dem Vaterlande schenkest,

Nur seine Leiden fühlst, nur seine Größe denkest,

Und lebst und stirbst fürs Vaterland!
[173]

Umsonst sucht von der Tugend Bahn

Der Eigennutz dich zu verdrängen,

Und führet wider dich, mit Jauchzen und Gesängen,

Die lockende Verführung an;


Und ihr Gefolg, die güldne Pracht,

Den stolzen Reichthum, mit der Ehre,

Die Pfauenflügel schwingt, und einem Freudenheere,

Das um die süsse Wollust lacht.


Siegprangender, als Cäsar war,

Schlägt sich durch diesen furchtbarn Haufen

Die große Seele durch, mit Gold nicht zu erkaufen,

Nicht zu erschüttern durch Gefahr.


Denn wie ein Fels, der unbewegt,

Wann Wogen sich auf Wogen thürmen,

Im Oceane steht, und, ruhig in den Stürmen,

Den ganzen Zorn des Himmels trägt:


So stehest du mit festem Muth,

Und trotzest, ohne Freund, verlassen,

Dem Grimm der Mächtigen, der Bösen, die dich hassen,

Und ihrer ungerechten Wuth.


Das Vaterland beglückt zu sehn,

Ist dir die göttlichste der Freuden,

Ist dir Ambrosia, selbst in dem härtsten Leiden,

Wann Bürger dich undankbar schmähn:


Bis dich der Himmel wieder ruft,

Die lichte Wohnung wahrer Helden,

Und, wer du warest, einst des Volkes Thränen melden,

Verströmt um deine stille Gruft.
[174]

Unrühmlich, unbeweint im Tod,

Vermodern in vergeßnen Höhlen

Die Bürger schlimmer Art, in derer kleinen Seelen

Nur niedrer Eigennutz geboth.


Die Schändlichen! Das Vaterland,

Das ihnen, was sie hatten, Leben,

Ruh, Ehr und Ueberfluß und sichre Lust gegeben,

Bat hülflos mit erhabner Hand.


Sie aber wichen scheu zurück,

Und nützten den erzürnten Himmel

Zu häßlichem Gewinn, und dachten im Getümmel

Nur sich und ihres Hauses Glück.


Ihr Haus entflieht der Rache nicht,

Die endlich den Verbrecher findet:

Was mit verruchter Hand ein Bösewicht gegründet,

Zerstört ein andrer Bösewicht.


Des Bürgers Glück blüht mit dem Staat,

Und Staaten blühn durch Patrioten.

Athen besiegten Stolz und Eigennutz und Rotten,

Noch eh es Philipps Ehrsucht that.


Und so fiel Rom, die Königinn

Der Könige von allen Zonen,

Von ihrem Thron gestürzt; und ihre güldnen Kronen

Nahm ein erkaufter Barbar hin.
[175]

Oft wann, in schauervoller Nacht,

Ihr Schutzgeist ihren Schutt umflieget,

Stillseufzend übersieht, wie Rom im Schutte lieget,

In Trümmern seiner alten Pracht;


Und dann die großen Thaten denkt,

Die sein geliebtes Volk vollbrachte,

So lang fürs Vaterland der Bürger Liebe wachte,

Von niedrer Absicht unbeschränkt:


Als alles fremden Goldes Feind,

Ein Curius und Scipione

Und die Fabricier und männlichen Catone

Noch lebten, mit dem Staat vereint:


Dann klagt er laut: sie sind nicht mehr!

Des Colosseums öde Mauern

Beginnen rund umher antwortend mit zu trauern,

Tiefbrausend, wie ein stürmisch Meer:


Sie sind nicht mehr, und Rom starb nach!

Erhoben durch die Patrioten,

Fiel mein geliebtes Rom, als allen Bürger-Rotten

Ein patriotisch Herz gebrach:


Daß dieser Fall der großen Stadt

Die sicher stolzen Völker lehre,

Der größte Staat sey schwach, der ungezählte Heere,

Doch keine Patrioten hat.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 173-176.
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Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer

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