38. Warnung

[220] An Stolberg.


8.–9. August 1780.


Freies Sinns Aufhellung gespäht und Wahrheit,

Sonder Scheu, ob Papst und Tyrann durch Machtspruch

Geistesflug einzwäng'; und geübt mit reiner

Seele, was recht ist!
[220]

Das allein schafft heiteren Blick zur Gottheit:

Das allein Gleichmut, wenn im Strom des Lebens

Sanft der Kahn fortwallt, wenn gebäumt von Sturmwind

Toset die Brandung;


Das allein auch glättet am trüben Ausfluß

Durch den Meerschwall Bahn zu dem stillen Eiland,

Wo uns Freund', Urväter und Weis' aus allem

Volke begrüßen.


Keine Ruh', Einschläferung nur mit Angsttraum,

Schafft dir Mönchsablaß um Verdienst des andern,

Augendrehn, Räuchwerk und Kastein, und Bannspruch

Plärrendes Anflehns.


Du zum Licht zwangloser Vernunft von Luther

Miterkämpft, du Forscher der Offenbarung,

Du im Anhauch griechischer Luft gehobner

Adler der Freiheit!


Du verkennst Erbtugend und Schwung zum Äther?

Und, o Schmach! demütigest dich in grauser

Hildebrand' unmenschlichen Fron, dich dumpfem

Glauben verpflichtend,


Pfaffenknecht? Ab schwörest du Licht und Wahrheit?

Am Altarschmaus dann des gebacknen Gottes

Schnaubst du dem, was Menschen vom Tier erhebet,

Haß und Verfolgung?


Hör', o Stolberg; Worte von Gott verkünd' ich

Alter Freund. Mißtraue der Priestersatzung,

Wenn den Abgott auch der Sirene Zauber-

Stimme beschönigt!
[221]

Schau', wie dort aufstarrender Pfaffen Chortanz

Um des Abgotts Opferaltar einherhinkt:

»Gott, allein uns Gott! o gesegn' allein uns,

Fluche den andern!


Unser Schrein, ach! unsre Gelübd' erhör' uns,

Unsres Leibs Blutströme! das Blut Verklärter,

Die für uns abbüßten!« Umsonst! denn ohrlos

Schläft er, und herzlos!


Fleuch, o fleuch, Stolberg, wie des Turbanträgers

Und des knoblauchduftigen Rabbis Messer,

Fleuch gebetabkugelnder Glatzenpfäfflein

Tand und Bethörung!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 220-222.
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»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

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