22. Das Milchmädchen

[250] 1781.


Mädchen, nehmt die Eimer schnell,

Habt ihr ausgemolken!

Seht, die Sterne blinken hell,

Und der Vollmond guckt so grell

Aus den krausen Wolken!


Lieg' und wiederkäu' in Ruh'

Dein gesundes Futter!

Alles, gute fromme Kuh,

Milch und Käse schenkest du,

Rahm und süße Butter!


Ruhig läuten durch das Feld

Dumpfe Rinderglocken;

Und der Hund im Dorfe bellt,

Und der Schlag der Wachtel gellt

Im betauten Roggen!


Mädchen, singt mit frohem Schall;

Wer nicht singt, den grauet!

Hört den schönen Wiederhall

Dort im Wald' und Erlenthal,

Wo der Hase brauet!


Töchterlein, nimm dich in acht,

Komm mir bald zu Hause!

Sagt die Mutter: in der Nacht

Schwärmt des Teufels wilde Jagd

Mit des Sturms Gesause!
[250]

Ein gehörnter schwarzer Mann

Kommt oft hulter pulter!

Guckt mit glühndem Aug' dich an,

Kneipt dich mit der Krall', und dann

Hockt er auf die Schulter!


Mädchen, wandelt früh und spät,

Trotz den klugen Müttern!

Wer auf guten Wegen geht,

Und auf Kreuze sich versteht,

Darf vor Spuk nicht zittern!


Zwar mich faßt ein Bösewicht

Manchmal um den Nacken;

Aber rot ist sein Gesicht,

Und mit Krallen kneipt er nicht

Freundlich meine Backen!


Dieser heißt, das Ohr gespitzt!

Wilhelm und so ferner:

Zwar sein blaues Auge blitzt;

Aber, wenigstens bis itzt,

Trägt er keine Hörner!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 250-251.
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Die Serapionsbrüder

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Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

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