Auf Katharina's Thronbesteigung

[251] Die unsre Mutter ist,

Die Grazie auf Europens höchstem Throne,[251]

Die Heldin in der Palmenkrone,

Die von dem Throne stieg, und Riga küßt:

Die Göttin singt mein patriotisch Lied!

Erhebe Dich, Gesang! So wie der Adler glüht,

Wenn er zur Sonne zielt, stark in ihr Feuer sieht,

Und oben dann an Jovis Thron der Donner Last

Mit kühnem Griffe faßt:

So hebe Dich, mein Lied, im feierlichsten Tone

Zur tiefsten Stuf' an Katharinens Throne,

Auf den Sie Sich heut schwang!

Sie ging, Sie ging den königlichen Gang

Hinauf zum Thron und nahm die Kaiserkrone

Und Rußlands Scepter in die Hand.

O jauchze dreimal, Land!

Den Scepter küßte Sie und wägt' ihn mit der Rechte

Und sprach: »Du sollst kein Stecken meiner Knechte,

Ein Gnadenscepter sollst Du sein!«

Sie sprach's. Und Rußland jauchzete darein,

Vom Eismeer bis zu uns, vom Lena bis zum Belt;

Da jauchzte Katharinens Welt

Und bebte nicht mehr. Und der Himmel brach,

Und Jovah sah herab und sprach:

»Du, meines Thrones Tochter, sei mein Bild

Und bitte, was Du willt!«

»Nicht, Vater,« sprach Sie, »gieb mir Pracht,

Die vom entnervten Mark des Landes glänzet,

Nicht Lorbeer, der nur Menschenfeinde kränzet

Und, weil er blutig trieft, Tyrannen lüstern macht,

Nicht Reichthum, der vom Schweiß des Armen glänzet

Und nur für Schmeichler lacht –

Nicht gieb mir dies! Doch soll ich etwas flehen,

Für mich nicht – für die Kinder, für mein Land,

So gieb mir Mutterherz und Salomon's Verstand!«

Da feierten die Engel; da floß von Jovah's Höhen

Der Weisheit Oel, wie Thau vom Hermon fließt,

In Strömen auf Ihr Haupt, und – Sie ward, was Sie ist!

Monarchin, Mutter, Kaiserin,

Europens Schiedesrichterin,

Die Göttin Rußlands und der Glanz in Norden –

Das Alles und noch mehr ist Katharina worden.

Ihr Waffenträger, stark durch Ihre Macht,

Ihr Adler, deckt in majestät'scher Pracht[252]

Sein weites Reich mit Ruh

Und eilt mit feuerdrohndem Blick,

Voll Ihres Ruhms, den Sternen zu!

Wohin, wohin Sie sieht, blüht Glück.

Ein Blick der Grazie schafft Tempe aus den Wüsten;

Dort, wo die Wilden früh die Morgensonne grüßen,

Vom Newa bis zum Don, von unsrer Düna Strand

Bis zu des Nordpols ew'ger Nacht

Wird Ihr Unsterblichkeit gebracht.

Denn Sie, Sie segnet alles Land

Und uns! – Heil uns! – Sie segnet Alles zwar,

Doch uns, doch uns besucht Sie gar!

Sie kam zu uns, die Göttin! –

Sie lachte auf uns Gnade, auf Jüngling, Greis und Mann,

Sie küßte unsre Kinder, nahm unser Opfer an,

Sie segnete die Väter und Riga's Wohl;

Ja, unsern Tempel der Gerechtigkeit

Hat Katharina eingeweiht.

Drum, Kaiserin, Dein großer Name soll

Das Haus des Rechts, das wir Dir weihn, beglücken;

Den Tempel, den wir baun, soll Dein, Dein Name schmücken,

Er schmücke unsre Zeit!

Jünglinge, die Ihr uns einst Nachwelt seid,

Nennt, wenn wir schlafen, nennt zu unserm Ruhm

Das Eurer Väter Säculum,

Da Peter Sie in seine Staaten nahm,

Und nennt das unser Säculum,

Da Katharina zu uns kam!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 251-253.
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